Meine Patienten fragen mich immer wieder: “Muss ich nach dem Training dehnen?”, “Ich dehne nie, ist das schlimm?” oder “Kann ich mit Dehnen Muskelkater verhindern?”
Ob Dehnen Sinn macht oder nicht, ist sehr fallspezifisch: Hat ein Sportler überhaupt keine Probleme mit Verletzungen oder Beweglichkeit, ist Dehnen nicht zwingend. Behandle ich aber einen Patienten, der wegen einer zu kurzen vorderen Oberschenkelmuskulatur Knie- oder Rückenschmerzen hat, ist adäquates Dehnen unbedingt nötig.
Die meistverbreiteten Meinungen, warum Dehnen nötig oder nützlich sein soll, sind allerdings unsinnig: Die Leistungsfähigkeit kann nicht gesteigert werden, es verhindert keine Verletzungen und hilft auch nicht gegen Muskelkater.
Im Gegenteil – wie diese zwei Beispiele aus dem Alltag zeigen:
- Überbeansprucht man die Muskulatur, gibt es Muskelkater. Diesen verstärkt man mit einer Dehnung nach dem Sport zusätzlich.
- Dehnt ein Fussballer vor einem Spiel die Beinmuskulatur und gibt im Sprint Vollgas, besteht ein grösseres Risiko für Verletzungen. Durch das Dehnen wird dem Muskel nämlich die Vorspannung für Schnell- und Explosivkraft genommen.
Im Sport will man mit Dehnen die Beweglichkeit verbessern, die Leistung steigern und Verletzungen vorbeugen. Ob und wie diese Ziele mit statischem Dehnen (auch “Stretching” – man verharrt einige Sekunden in der Position) erreicht werden können, zeigt ein Artikel im Aspetar Sports Medicine Journal spt-education.de.
Beweglichkeit verbessern
- Durch statisches Dehnen wird man kurz- und langfristig beweglicher. Die genauen Mechanismen sind jedoch umstritten. Wahrscheinlich ist ein Teil der grösseren Dehntoleranz zuzuschreiben, eventuell auch einer mechanischen Veränderung im passiven Widerstand. Die Sehnensteifigkeit wird wohl aber nicht verändert.
- Beweglicher kann man aber auch durch Krafttraining werden (insbesondere durch exzentrisches Krafttraining – wobei die Belastung quasi abgebremst wird). Dies liefert ähnliche oder sogar bessere Ergebnisse als Stretching. Nebenbei wird durch entsprechendes Krafttraining auch die Steifigkeit der Sehne und des Muskel-Sehnen-Gesamtkomplexes verbessert.
- Die Gelenksteifigkeit können jedoch weder Dehn- noch Krafttraining reduzieren.
Leistung steigern
- Dehnt man sich länger als 45 Sekunden vor einer sportlichen Aktivität, in der Maximal- und Schnellkraft wichtige Bestandteile sind, wirkt das eher leistungsmindernd.
- Das Gleiche gilt für die Vorbereitung von Ausdaueraktivitäten – auch hier gibt es keinen klaren Beweis für die Wirksamkeit des Dehnens.
Verletzungen vorbeugen
- Dass Dehnen verletzungspräventiv wirken oder die Rehabilitation wesentlich verkürzen soll, konnte wissenschaftlich nie erwiesen werden.
- Im Gegensatz dazu scheint ein angepasstes und progressives Krafttraining diesbezüglich deutlich positivere Auswirkungen zu haben.
Vieles ist damit gesagt, einiges bleibt aber unbeantwortet. Ein differenziertes Herangehen an das Thema sowohl in der Praxis als auch der Wissenschaft wird unvermeidlich sein, um weitere Erkenntnisse gewinnen zu können.