Anja, wie häufig kommt es vor, dass deine Patienten Haltungsschäden beklagen?

ANJA SCHNEIDER: Das ist tatsächlich ein weitverbreitetes Problem bei uns. Unsere Patienten mit Haltungsschäden arbeiten mehrheitlich im Büro. Doch durch die Schreibtischarbeit entsteht eine Disbalance im Körper – die Schultern werden leicht angehoben, Verspannungen entstehen. Daraus resultieren Kopfschmerzen und eine verminderte Nackenstabilisation. Neben dem Nacken ist auch die Hüfte stark betroffen, denn durch das vermehrte Sitzen wird die tief liegende Gesässmuskulatur überdehnt.

Was kann sich aus einer schlechten Haltung entwickeln?

Wenn die Patienten aufstehen, können Sie die Muskulatur kaum mehr richtig aktivieren. Das muss man sich vorstellen wie bei einem ausgeleierten Gummiband. Dadurch fehlt den Beinen die nötige Stabilität. Es kommt zu einer Innenrotation des Beins, wodurch Hüfte, Knie und Füsse fehlbelastet werden. Eine mögliche Folge: starke Abnützung und Arthrose. Beim Nacken zeigt sich die Fehlbelastung vor allem als Schmerz im Kopf, in seltenen Fällen auch als Sehstörung oder Tinnitus.

Wie kann man entgegenwirken?

Wir befinden uns ständig in einer gebückten Haltung, ob am PC oder über dem Smartphone-Display. Es ist wichtig, dass wir diese monotonen Aktivitäten regelmässig unterbrechen, um dem Körper die Möglichkeit zu geben, sich zu lösen. Denn durch eine lang anhaltende Fehlbelastung entstehen Verspannungen und Verklebungen in der Muskulatur, die sich irgendwann nur noch schwer lösen lassen. Im Büro können Stehtische dabei helfen, monotone Muster zu durchbrechen und eine gesunde Haltung einzunehmen. Auch Sport in der Freizeit kann hilfreich sein.

Welche Sportarten sind empfehlenswert?

Jegliche Art von Bewegung ist förderlich. Im besten Fall entscheiden Sie sich aber für eine Sportart, bei der Sie nicht wieder sitzen. Das heisst: besser Joggen statt Velofahren.

Welche Muskeln sollten gezielt trainiert werden, um eine gesunde Haltung zu fördern?

Das Zentrum ist die Rumpfmuskulatur – Gesäss und Bauch sollten trainiert werden. Wenn der Rumpf nicht aufrecht ist, fehlt die Stabilisation. Ebenfalls wichtig ist die Muskulatur, die die Schulterblätter unterstützt. Ansonsten fallen die Schultern nach vorn und der Körperschwerpunkt verlagert sich. Bei den Beinen ist die tiefe Gesässmuskulatur besonders wichtig, damit man nicht in eine X-Bein-Formation fällt.

Kann man eine schlechte Körperhaltung denn überhaupt noch korrigieren?

Ja, das ist kein Problem. Mit verschiedenen Übungen können wir die Beweglichkeit fördern – beispielsweise durch das Zurückrollen der Schultern – und dann den Muskelaufbau fördern. So lassen sich auch Fehlhaltungen korrigieren oder verbessern, die über eine längere Zeitspanne antrainiert wurden.