ENPHE, das Europäische Netzwerk für Physiotherapie in der Hochschulbildung, ist eine gemeinnützige Organisation führender Physiotherapie-Universitäten in Europa. Jährlich zeichnet sie die besten Bachelor- und Masterarbeiten aus.
Anja, herzlichen Glückwunsch! Was hat dich zum Award geführt?
Vielen Dank! Jede Hochschule, die Teil des ENPHE-Netzwerks ist, kann eine Bachelor- und eine Masterarbeit ins Rennen für den Award schicken. Meine Arbeit wurde von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) für den Masteraward 2020 eingereicht. Eine Jury von ENPHE beurteilte die eingereichten Masterarbeiten nach Relevanz für die Physiotherapie und die physiotherapeutische Ausbildung, aber auch bezüglich Innovation, Relevanz aus internationaler Perspektive sowie Evidenz und Methodologie. Auf dieser Basis wurden dann die Awards vergeben.
Warum genau Knie- und Hüftarthrose?
Leitlinien-Empfehlungen für die konservative Behandlung von Knie und Hüftarthrose werden in der Praxis noch zu wenig umgesetzt. Ein Programm, dass diese Versorgungslücke zu schliessen versucht, heisst «Good Life with Osteoarthritis in Denmark» (GLA:D®).
Was ist «GLA:D®» genau?
Das Ziel des «GLA:D® Schweiz»-Programms besteht im Wesentlichen darin, international ankerkannte Behandlungsleitlinien für Hüft- und Kniearthrose wie auch für Rückenschmerzen im Praxisalltag umzusetzen – und das qualitätskontrolliert. Das Programm setzt sich aus drei Teilen zusammen: Beratung und Instruktion, einem Übungsprogramm und einer Qualitätskontrolle mittels Datenerhebung.
Und wer setzt dieses Programm um?
Das Programm wird von GLA:D® Schweiz zertifizierten Physiotherapeuten durchgeführt. Ziel ist es, Menschen mit Arthrose oder Rückenschmerzen eine gute Lebensqualität zu ermöglichen. Auch in anderen Ländern wie Kanada, Australien, China und Neuseeland kommt das Programm bereits zum Einsatz. Es hat sich unter anderem bezüglich Schmerzintensität, Schmerzmedikation, Funktionsgewinn, Lebensqualität, Anzahl an Krankheitstagen als erfolgreich gezeigt.
Was wolltest du in deiner Arbeit in Erfahrung bringen?
Ich habe mich mit der initialen Implementierung/Umsetzung von GLA:D® Schweiz auseinandergesetzt. Ganz konkret habe ich die ersten zertifizierten «GLA:D® Schweiz»-Therapeuten zu Förderfaktoren, Barrieren, Praktikabilität und Akzeptanz des «GLA:D® Schweiz»-Programmes befragt. Anschliessend habe ich ihre Antworten ausgewertet.
Was hast du herausgefunden?
Dass die Akzeptanz, Praktikabilität und die Förderfaktoren vielversprechend sind, um das GLA:D® Schweiz-Programm zu implementieren. Aber die gefundenen Barrieren und Punkte, die bezüglich der Praktikabilität schlechter abgeschnitten haben, brauchen noch gezielte Interventionen.
Wirst du weiterforschen?
Am schönsten fände ich es, 50% am Patienten und 50% im wissenschaftlichen Bereich tätig zu sein. Nach dem Masterabschluss wollte ich erstmal einfach «nur» meine 80% in der Praxis weiterarbeiten. Mal sehen, was 2022 bringt.
Was würde dich am meisten interessieren?
Der Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Praxis dauert aktuell noch viel zu lange. Eine der wichtigsten Fragen in meinen Augen ist: Wie schafft man es, dass wissenschaftliche Erkenntnisse früher ihren Weg in die Praxis finden? Ein konkretes Beispiel: Wie stellt man sicher, dass auch Patienten mit Kniearthrose eine konservative nichtmedikamentöse Therapie erhalten, bevor sie operiert werden? Hier gibt es Hinweise in der Literatur, dass das noch zu wenig passiert. Auch finde ich das Modell der 1-zu-1-Behandlung nicht bei allen Beschwerdebildern das Richtige, etwa bei Arthrose oder unspezifischen Rückenschmerzen. Denn dort gibt es beispielsweise in den Leitlinien klare Hinweise darauf, welche Behandlungsansätze zielführend sind. Hier finde ich eine Therapie in einem Gruppensetting, kombiniert mit Einzelsessions, sinnvoller.