Nach Verletzungen wollen die meisten Leute erst einmal kühlen. Um Blutergüsse zu verringern, Schmerzen zu lindern, und Schwellungen zu verringern. Kühlung macht allerdings das Gegenteil von dem, was unser Körper für die Wundheilung braucht. Nur in der akuten Versorgung, den ersten 10 bis 20 Minuten nach einem Trauma, macht Kühlung Sinn. Und man muss genau wissen wie. Martina Broger, Therapeutin im PHYSIOZENTRUM St.Gallen, erklärt im Interview, was man beim Kühlen berücksichtigen muss.

Martina Broger, Zentrumsleiterin St.Gallen

Martina Broger, Zentrumsleiterin in St.Gallen

Martina, warum ist dir wichtig dass die Leute darüber aufgeklärt werden, wie man richtig kühlt?

In der Praxis haben wir immer wieder Leute, bei denen der Wundheilungsprozess wegen falschem Kühlen verzögert wird. Zu uns kommen viele junge Patienten, die schnell wieder auf die Beine kommen wollen. Wegen einer Lappalie wird dann aber die Heilung verzögert, nur weil die Patienten nicht genau aufgeklärt werden oder keine genauen Instruktionen bekommen.

Bei welchen Verletzungen kühlen die Patienten, die zu euch in die Physiotherapie kommen?

Vor allem bei Gelenkverletzungen des Knies und des Fusses. Beispielsweise bei Überdehnungen der Bänder. Theoretisch kann man auch bei einem geschlossenen Bruch kühlen.

Warum haben wir, wenn wir uns verletzt haben, das Bedürfnis, zu kühlen?

Nach einer Verletzung wird nach kurzer Zeit die Entzündungsphase eingeleitet. Die betroffene Stelle wird warm, verfärbt sich vielleicht, schwillt an, lässt sich nicht mehr gut bewegen und schmerzt.

Zuvor hast du von einem Fall erzählt, den du selbst kaum fassen konntest und der dir wieder vor Augen geführt hat wie wichtig Aufklärung über das Kühlen ist.

Vor kurzem ist eine Patientin mit massiven Schwellungen vom Fuss zu mir gekommen. Sie hatte ihn drei Wochen zuvor verknackst. Als sie zu mir kam, hatte sie alle Entzündungszeichen noch, die eigentlich am Anfang sind. Normalerweise würde man in diesem Stadium bereits mit trainieren beginnen.

Wie ist es dazu gekommen?

Sie erhielt von der Ärztin die Instruktion zu kühlen. Das hat sie gemacht. Stundenlang Eis auf die Verletzung gelegt. Als nach drei Wochen der Fuss immer noch so geschwollen war, hat die Ärztin die Patientin zu mir geschickt, um die Entzündungszeichen zu dämmen. Ich habe der Patientin dann verboten, weiter zu kühlen. Nach einer Woche war alles weg. Sie konnte sich wieder normal bewegen und hatte keine Schmerzen.

Hat also die Patientin zu ungenaue Instruktionen erhalten?

Kühlung ist immer noch ein sehr kontroverses Thema. Mittlerweile ist aber geklärt, was man tun sollte.  Die Vorgänge sind physiologisch erklärbar. Früher hat man einfach nicht darüber nachgedacht.

Wie funktioniert der Wundheilungsprozess normalerweise?

Grob gesagt will der Körper die verletzte Stelle so schnell wie möglich mit Sauer- und Nährstoff versorgen für die Reparatur. Die Gefässe werden dann weiter gestellt, sodass mehr Blut durch sie fliessen kann. Ausserdem senden Schmerzrezeptoren Signale ans Gehirn, die dem Körper melden dass da etwas schmerzt.

Und was macht die Kühlung?

Kühlung bewirkt genau das Gegenteil von dem, was der Körper will. Durch Kühlung werden die Gefässe enger gestellt, sodass die Durchblutung und folglich der Transport von Sauer- und Nährstoffen, im Wundgebiet verringert wird. Die Kühlung verzögert zudem die Weiterleitung der Schmerzsignale ans Gehirn. Das bedeutet, dass man viel weniger schnell merkt, wenn man überlastet. Man schont sich zu wenig. Die Gefahr, dass man die verletzten Strukturen wieder reizt, ist grösser.

Darf man also gar nie kühlen?

Doch, man muss einfach differenzieren. In den ersten 10 bis 20 Minuten, gleich nach dem Trauma, macht Kühlung Sinn. Verletzte wollen die Entzündungszeichen mildern, sodass die Stelle nicht so extrem anschwillt,  und der Bluterguss nicht so gross wird. Ausserdem empfindet man Kühlung als angenehm und schmerzstillend. Da der Reparaturprozess zu diesem Zeitpunkt noch nicht begonnen hat, kann man dann noch kühlen.

Wie genau soll gekühlt werden?

Unter keinen Umständen darf zu kalt gekühlt werden. Kältespray, wie ihn die Sportler benützen, oder Eis direkt auflegen sollte man unter keinen Umständen. Das wäre eine viel zu grosser thermischer Reiz, die Gefässe würden viel zu fest verengt. Stattdessen kann man beispielsweise einen Waschlappen nass machen oder ihn in ein Becken tauchen, in dem vorher Eis ein wenig aufgetaut wurde. Wenn nur Eis zur Verfügung steht, sollte man das in ein Tuch oder Shirt einpacken. Mit dem Tuch oder Lappen darf man das Wundgebiet in jedem Fall nur bestreichen, ihn nicht drauflegen.

Die Entzündungsphase dauert drei bis fünf Tage, deshalb haben manche Leute auch dann noch das Bedürfnis zu kühlen, weil sich die Stelle noch immer heiss anfühlt. Allerhöchstens darf man aber nur bis 48 Stunden nach dem Trauma kühlen. In den ersten zwei Tagen kann man Quarkwickel machen. Der Quark wird bei Kühlschranktemperatur, also ungefähr sechs Grad, aufgetragen. 15 bis 20 Minuten darf man den Wickel dann auf der Verletzungsstelle lassen. Auch einen nass gemachten Lappen kann man auf die Stelle legen. Eis, auch in einen Lappen gehüllt, wäre hier aber bereits zu kalt.