Was tun bei

Harninkontinenz ist weit verbreitet. Etwa jede dritte Frau (30–40%) erlebt im Laufe ihres Lebens ungewollten Harnverlust – besonders nach Schwangerschaften oder im höheren Alter. Täglicher Harnverlust betrifft ungefähr jede zehnte Frau (10–40%) über 60. Faktoren wie Übergewicht und Diabetes können das Risiko zusätzlich erhöhen.
Männer sind etwa halb so häufig betroffen wie Frauen. Im höheren Alter hat ungefähr jeder vierte Mann (25 %) Harninkontinenz, bei einigen tritt sie täglich auf. Besonders nach Prostata-Operationen steigt das Risiko.
Auch Kinder können Schwierigkeiten haben, nachts trocken zu bleiben. Etwa jedes zehnte Kind (10 %) mit sieben Jahren, jedes zwanzigste mit zwölf Jahren und nur noch wenige Jugendliche sind betroffen.
Was ist die Funktion des Beckenbodens?
Der Beckenboden besteht aus mehreren Muskelschichten, Bindegewebe und Nerven. Er liegt am unteren Ende des Beckens und bildet sozusagen die «Bodenplatte» unseres Rumpfes. Seine Hauptaufgabe ist es, die Organe im Becken – also Blase, Darm und bei Frauen auch die Gebärmutter – zu stützen und in ihrer Position zu halten. Der Beckenboden ist aber nicht nur ein «Stützgewebe», sondern hat noch weitere wichtige Funktionen:
- Schliessfunktion: Die Muskeln sorgen dafür, dass Blase und Darm dicht bleiben und wir Urin und Stuhl bewusst halten können. Sie spannen sich reflexartig an, wenn wir Husten, Niesen oder etwas Schweres heben.
- Loslassen & Entspannen: Beim Toilettengang können sich die Muskeln gezielt entspannen, um Urin oder Stuhl zu entleeren.
- Sexuelle Funktion: Der Beckenboden spielt eine wichtige Rolle für Lustempfinden und Orgasmus und wechselt während des Geschlechtsverkehrs zwischen Anspannung und und Entspannung.
- Und eben die Stützfunktion der Beckenorgane.
Wenn der Beckenboden gut funktioniert, nehmen wir ihn kaum wahr – erst wenn es Probleme gibt, merken wir, wie wichtig er für unser tägliches Leben ist.
Was passiert bei einer Beckenbodendysfunktion?
Wenn der Beckenboden nicht mehr richtig arbeitet, kann das verschiedene Beschwerden verursachen. Diese Probleme lassen sich in fünf Gruppen einteilen:
- Probleme mit der Blase: Häufiger, starker Harndrang, unkontrollierter Harnverlust oder Schwierigkeiten, die Blase vollständig zu entleeren.
- Darmbeschwerden: Verstopfung, unkontrollierter Stuhl-/Windabgang oder das Gefühl, dass der Darm nicht richtig entleert wird.
- Sexuelle Beschwerden: Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, Erektionsprobleme oder eine verringerte Orgasmusfähigkeit.
- Organabsenkungen (Prolaps): Wenn Blase, Darm oder Gebärmutter absinken, kann das zu einem Schweregefühl, Schmerzen oder Fremdkörpergefühl in der Vagina führen.
- Schmerzen im Beckenbereich: Chronische Schmerzen im Genital und/oder Beckenbereich ohne erkennbare Ursache, die oft den Alltag stark einschränken.
Diese Symptome können in unterschiedlichen Kombinationen auftreten und das Wohlbefinden stark beeinträchtigen.
Wie entstehen Beckenbodenprobleme?
Beckenbodendysfunktionen können viele Ursachen haben, und oft spielen mehrere Faktoren zusammen. Ein besonders wichtiger Faktor ist das Alter, da sich das Gewebe im Laufe der Zeit verändert und an Elastizität verliert. Besonders in der Menopause bei Frauen kann das Bindegewebe im Beckenboden durch den Rückgang der weiblichen Hormone weicher und weniger stabil werden, was die Funktion des Beckenbodens beeinträchtigen kann.
Die häufigsten Ursachen für Beckenbodenprobleme sind:
- Alter: Mit zunehmendem Alter verliert das Gewebe im Beckenboden an Festigkeit und Elastizität, ausserdem verringert sich physiologischerweise die Anzahl an Muskelfasern in der Harnröhre, was den Beckenboden schwächen kann.
- Schwangerschaft und Geburt: Das Gewebe wird während der Schwangerschaft stark gedehnt und kann sich nicht immer vollständig zurückbilden.
- Chronischer Druck und Belastung: Starkes Übergewicht, häufiges schweres Heben oder anhaltender Husten können den Beckenboden überlasten.
- Operationen und Verletzungen: Eingriffe im Beckenbereich (z.B. Prostata-Operationen) oder Unfälle können die Funktion des Beckenbodens beeinträchtigen.
- Falsche Angewohnheiten: Regelmässiges starkes Pressen beim Toilettengang oder ein dauerhaft angespannter Beckenboden können zu Problemen führen.
Die gute Nachricht: Der Beckenboden ist trainierbar! Mit gezielter Physiotherapie lassen sich viele Beschwerden verbessern oder verschwinden sogar ganz.
Wie hilft die Physiotherapie bei Beckenbodendysfunktionen?
Die Beckenbodenphysiotherapie ist ein spezialisiertes Gebiet der Physiotherapie, das sich mit Beschwerden im Beckenbereich bei Frauen, Männern und Kindern befasst. Die Behandlung beginnt mit einem ausführlichen Gespräch, um die individuellen Beschwerden, Symptome und alltäglichen Herausforderungen der Betroffenen besser zu verstehen.
Um mehr über die Blasen- und Darmfunktion zu erfahren, können ein Blasen- oder Stuhlprotokoll sowie ein PAD-Test eingesetzt werden. Diese geben Aufschluss darüber, wie oft die Blase oder der Darm entleert werden, ob es zu unfreiwilligem Harn- oder Stuhlverlust kommt und wie stark die Symptome ausgeprägt sind.
Im nächsten Schritt wird der Beckenboden untersucht. In Rückenlage beobachtet die Therapeutin oder der Therapeut, wie sich der Beckenboden in Ruhe und bei Bewegung verhält. Dabei sollte sich der Damm (der Bereich zwischen Vagina bzw. Penis und After) bei Anspannung leicht nach innen und oben bewegen und bei Entspannung nach unten.
Meistens ist eine vaginale oder rektale Untersuchung sinnvoll. Dadurch lassen sich wichtige Informationen über die Kraft, Kontrolle und Entspannungsfähigkeit der Beckenbodenmuskulatur sowie die Lage von Blase, Gebärmutter oder Darm gewinnen. Die Muskelfunktion wird durch Tasten oder mithilfe von Oberflächen-Elektromyografie (sEMG) geprüft. Falls dabei Schmerzen auftreten, wird zusätzlich eine Untersuchung der Muskeln und Faszien durchgeführt.
Die Behandlung zielt darauf ab, dass Sie lernen, Ihren Beckenboden bewusst wahrzunehmen und gezielt zu aktivieren sowie wieder zu entspannen. Dabei wird in mehreren Schritten gearbeitet:
Bewusstsein und Kontrolle
Sie lernen, wann und wie Sie Ihren Beckenboden anspannen und entspannen können. Diese «Schulung» ist der Grundstein dafür, dass Sie Ihre Beckenbodenmuskulatur auch im Alltag und beim Sport gezielt einsetzen können.
Gezieltes Training
Durch Übungen wird die Beckenbodenmuskulatur gestärkt. Dieses Training wird häufig durch Hilfsmittel wie Biofeedback unterstützt – das heisst, mit Sensoren, die anzeigen, wie gut Sie Ihre Muskeln an- oder entspannen.
Entspannungstechniken
Spezielle Techniken, wie das abwechselnde An- und Entspannen (sogenannte Kontraktions-Relaxation), helfen, verspannte Bereiche zu lockern und die Muskelkoordination zu verbessern.
Spezielle Behandlungsmethoden
Bei myofaszialen Beschwerden (das sind oft Schmerzen oder Druckempfindlichkeiten) können gezielte Behandlungstechniken, die intravaginal oder rektal durchgeführt werden, helfen, Triggerpunkte zu lösen. Auch eine Elektrostimulation mit speziellen, beruhigenden Stromimpulsen kann die Beschwerden einer überaktiven Blase positiv beeinflussen.
Verhalten und Training im Alltag:
Zusätzlich kann ein gezieltes Verhaltenstraining, beispielsweise ein angepasstes Toilettentraining, erheblich zur Verbesserung beitragen.
In manchen Fällen wird auch ein rektales Ballontraining eingesetzt, das besonders bei einer verminderten Empfindlichkeit des Rektums hilft.
Diese konservativen Massnahmen – also Behandlungen, die ohne Operation auskommen – haben sich in der Fachliteratur als sehr wirksam erwiesen, vor allem wenn sie von einem spezialisierten Beckenbodenphysiotherapeuten durchgeführt werden.
Was können Sie selbst tun?
Wenn Ihnen die oben beschriebenen Beschwerden bekannt vorkommen, sollten Sie eine spezialisierte Beckenbodenphysiotherapeutin oder Therapeuten aufsuchen. Dort erhalten Sie eine gezielte Untersuchung und einen individuellen Behandlungsplan.
Zur Vorbereitung können Sie sich mit der Anatomie des Beckenbodens vertraut machen und versuchen, die Muskulatur bewusst anzuspannen und zu entspannen. Das hilft, ein erstes Gefühl für diese Muskelgruppe zu entwickeln.
Für einen erfolgreichen Therapieprozess ist Ihre aktive Mitarbeit entscheidend. Regelmässiges Üben zu Hause ist ein wichtiger Bestandteil der Behandlung und trägt massgeblich dazu bei, langfristige Verbesserungen zu erzielen.