Herr Studer fährt Ski und bricht sich das Bein: eine Oberschenkelfraktur. Frau Weber hat sich beim Laufen den Fuss vertreten und ihre seitlichen Sprunggelenksbänder angerissen. Mauro rennt beim Fussball in ein Gebüsch und holt sich blutige Kratzer an den Armen und Beinen.

Was haben diese drei Unfälle gemeinsam? Bei jeder Verletzungen tritt ab der ersten Sekunde dieselbe physiologische Reaktion der Wundheilung in Gange. Aufgrund der unterschiedlichen Gewebearten gibt es einige spezifische Unterschiede, jedoch basiert der Ablauf der Wundheilung auf denselben Prinzipien und Phasen.

In der Physiotherapie und Rehabilitation spielen die Wundheilung und die Phasen eine bedeutende Rolle: Je nach Phase ist anderes Verhalten angesagt um den natürlichen Verlauf zu  unterstützten und um für den Belastungsaufbau optimal vorbereitet zu sein.

Die Wundheilungsphasen

Die Wundheilung wird je nach Literatur und Gewebe in drei bis fünf Phasen unterteil. Wir gehen hier auf die drei gängigsten Phasen ein.

Die Entzündungsphase

Die Entzündungsphase ist die erste physiologische Reaktion unseres Körpers auf eine Verletzung oder Überbelastung. Die Entzündung ist ein wichtiger Teil der Genesung unseres Gewebes. So bauen die restlichen Wundheilungsphasen auf der abgeschlossenen Entzündungsphase auf. Diese erste Phase dauert ca. fünf Tage.

Enzyme zur Blutgerinnung (Thrombin und Fibrinogen) dichten die Wundränder ab. Diese körpereigenen Substanzen hindern Flüssigkeiten vor dem Austreten aus der Wunde.

Gleichzeitig sickert eine Flüssigkeit namens Exsudat aus den Blutgefässen in die Wunde. Im Exsudat sind Enzyme, Zellen und Nährstoffe enthalten. Diese unterstützen die Heilung.

Durch unsere Immunzellen (Mastzellen) wird die Wunde gereinigt. Zusätzliche Blutbahnen bilden sich im betroffene Gebiet, um es optimal zu versorgen und die entstandenen «Abfallprodukte» und Schwellung abzutransportieren.

Die Proliferationsphase

In dieser Phase setzt die Zellteilung ein und neues Gewebe wird produziert. Das dauert ungefähr drei Wochen.

Zellen wie Fibroblasten und Epithelzellen beginnen sich zu vermehren. Dadurch ziehen sie die Wundränder zusammen. Die Wunde wird kleiner und erhält mehr Stabilität und Belastbarkeit. Epithelzellen schützen mit einer Barriere die Wunde vor Bakterien und anderen Schadstoffen.

Die Verletzung und Säuberung der Wunde hinterlässt Lücken im Gewebe. Daher produzieren Fibroblasten Gewebefasern (Kollagenfasern Typ II) um die Lücken zu füllen. Das Gewebe gewinnt weiter an Stabilität und Belastbarkeit.

Für eine optimale Organisation und Ausrichtung dieser neuen Kollagenfasern braucht es entsprechende Belastungsreize. So wird Herr Studer seine Fraktur für sechs Wochen mit Stöcken nur teilbelasten, damit nicht voller Druck das Knochengewebe belastet. So wächst der neu gebildete Knochen richtig zusammen und kann später das volle Gewicht tragen.

Wirken keine oder ungenügende Reize auf unser verletztes Gewebe, wird sozusagen planlos drauflos gebaut. Die Reize sind wie Wegweiser für unseren Körper, wie er sich zu Stärken und Aufzubauen hat, um wieder unsere gewohnten Aktivitäten und Funktionen zu erlangen.

Remodellierungsphase

Diese Phase dauert je nach Gewebeart bis zu 2 Jahre an. Das neu gebildete Gewebe wird gestrafft und angepasst, um die ursprüngliche Funktion des Körperteils wiederherzustellen.

Die Kollagenfasern Typ II werden in den gewebespezifische Kollagen (meistens Typ I) umgebaut, weiter verdichtet und das Wundgebiet wird stärker.

Die Funktion und Struktur des neuen Gewebes ist zum Abschluss der Wundheilung anders im Vergleich zum unverletztem Gewebe. Es ist weniger elastisch aber stärker. Ausserdem ist die Durchblutung teilweise eingeschränkt. Auch kann sich die Zusammensetzung des neu gebildeten Gewebes unterscheiden.

Im Laufe der Zeit wird das neu gebildete Gewebe allerdings immer besser und nähert sich den Strukturen und Funktionen des unverletzten Gewebes an.

Diese Faktoren beeinflussen die Wundheilung

Die Dauer der Wundheilung hängt von verschiedenen Faktoren ab: Vom Wundtyp, von der Art des beschädigten Gewebes und vom allgemeinen Gesundheitszustand und Alter der Person.

Faktoren wie Rauchen, Diabetes, Stress, ungesunde Ernährung und unzureichende Durchblutung können die Genesung verlangsamen.

Andere Faktoren wie eine gesunde Ernährung, genügen Flüssigkeitszufuhr, Bewegung und ein an die Wundheilungsphasen angepasstes Training fördern den natürlichen Heilungsprozess und bringen das verletzte Gewebe wieder auf das notwendige Belastungsniveau.

Gewebe-Typ

Wundheilungsdauer

Muskeln 2 bis 12 Wochen
Sehnen 6 – 18 Monate
Bänder 6 – 12 Monate
Knochen 6 – 12 Monate
Nerven 12 – 24 Monate

Wie hilft Physiotherapie bei der Wundheilung?

Die Wundheilung ist ein komplexer Prozess, der Zeit und Geduld erfordert. Es ist wichtig, dass Sie sich gut um Ihre Verletzung kümmern und die empfohlenen Massnahmen befolgen, um den Heilungsprozess zu fördern.

Eine physiotherapeutische Behandlung kann dabei helfen, den Heilungsprozess zu beschleunigen und die Funktion des betroffenen Gewebes zu verbessern.

Je nach Gewebetyp und Wundheilungsphase kann in der Physiotherapie abgeschätzt werden, welcher Belastungsreiz nötig ist. Übungen können so mit Ihnen besprochen werden. Diese werden so an Sie angepasst, dass der Reiz die optimale Wirkung auf die geschädigte Gewebestruktur hat.

Ausserdem wird durch die Physiotherapie im Verlauf der Wundheilung das Training kontinuierlich gesteigert bzw. angepasst. Neue oder intensivere Reize werden angeboten, in Form von schwierigeren oder anderen Übungen.