Eigentlich ist der Schmerz unser Freund. Das scheint jetzt etwas seltsam. In Wahrheit funktionieren Schmerzen aber wie ein Frühwarnsystem. Sie zeigen an, wenn Gefahr besteht, dass Gewebe beschädigt wird oder im schlimmsten Fall schon beschädigt ist. Wir können sofort reagieren und somit weitere Folgeschäden vermeiden. Ein ganz simples Beispiel ist die heisse Herdplatte: Wenn wir diese mit den Fingern berühren, spüren wir sofort einschiessende Schmerzen. Dies veranlasst uns, die Hand zurückzuziehen. So können wir schlimmere Verbrennungen vermeiden.

Jeder Schmerz wird beeinflusst durch das eigene Denken und Fühlen, Schlafmangel, Stress, soziales Umfeld und Lebensstil (Bewegung und Ernährung). Diese Faktoren haben starken Einfluss auf die Intensität und Dauer unserer Schmerzen. Deshalb ist es möglich, dass manche Menschen bei starker Schädigung des Gewebes fast keine Schmerzen empfinden, während andere bereits bei minimalen Verletzungen extreme Schmerzen leiden.

Wie entstehen Schmerzen?

Auf untenstehendem Bild ist eine vereinfachte Form der Schmerzverschaltung dargestellt. Im Gehirn sitzt das Zentrum der Schmerzwahrnehmung. Hier spüren wir erstmals den Schmerz, wenn die Information aus dem Körper über die Nervenbahnen weitergeleitet wird.

Körpereigende „Schmerzmittel“, sogenannte Opiate, werden bei Bedarf ausgeschüttet und beeinflussen die Schmerzwahrnehmung positiv.  Aufgrund von Stresshormonen ist dieses Zentrum aber auch in der Lage, ohne Schädigung Schmerzen zu generieren oder zu verstärken.

Chronische Schmerzen

Nicht mehr der ursprünglichen Funktion dienen Schmerzen, sobald sie die eigentliche Schädigung der Körperstruktur überdauern. Bestehen die Schmerzen länger als sechs Monate, spricht man von chronischen Schmerzen. Spätestens dann empfinden Patienten den Schmerz als richtigen Quälgeist.

Wichtig: Schmerz kann man sich nicht einbilden. Es gibt immer einen Grund, wenn Patienten Schmerzen verspüren. Es ist wichtig abzuklären, wie stark der Schmerz durch mechanische Einwirkung oder strukturelle Schädigung, beziehungsweise durch andere schmerzbeeinflussende Faktoren wie Emotionen usw. verursacht wird. Ihr Physiotherapeut hilft Ihnen weiter.

Schmerz verändert

Wissenschaftler haben festgestellt, dass sich bei über längeren Zeitraum anhaltenden Schmerzen Nervenzellen verändern. Sie verändern ihre Struktur (Neuroplastizität) und somit auch ihre Funktion. Die Schmerzweiterleitung wird deutlich verstärkt. Schon geringe Reize werden als Schmerz wahrgenommen (Hyperalgesie). Obwohl die ursprüngliche Schmerzursache nicht mehr vorhanden ist, können Betroffene dann Schmerz spüren.

Schmerz wird in demselben Gebiet im Gehirn wahrgenommen, in dem auch unsere Gefühle und Emotionen verarbeitet  werden. Dadurch besteht eine direkte Verbindung zwischen psychischen Faktoren und Schmerzwahrnehmung, sowie dessen Entstehung. Das bedeutet einerseits, dass negative Gefühle als “Schmerz” wahrgenommen werden können und andererseits, dass körperliche Schmerzen durch Emotionen und Psyche beeinflussbar sind.

Risikofaktoren, die eine Chronifizierung unterstützen:

  • Anhaltende psychovegetative Spannung (“Immer unter Strom stehen”)
  • Angst und Depression oder längere Stress- oder Schmerzerfahrung in der Vorgeschichte
  • Angehörige mit ebenfalls langer Krankengeschichte
  • Tendenz zum Katastrophisieren, d.h. sich alle schlimmstmöglichen Szenarien vorstellen
  • Ständiges Ignorieren der Schmerzen und Belastungsgrenzen (immer “durchhalten”)
  • Unzureichende Behandlung der Schmerzen
  • Probleme im sozialen Umfeld, im Beruf oder finanzielle Schwierigkeiten
  • Eigene Haltung bzw. Einstellung zur Schmerzbewältigung (z.B. Passivität oder Selbstbeschuldigung)
  • Vorteile, die durch die Krankheit entstehen (z.B. Rente)

Faktoren, die den Schmerz positiv beeinflussen:

  • Soziale Unterstützung, zum Beispiel durch den Partner
  • Eine verlässliche Bezugsperson in der Kindheit
  • Positive Akzeptanz der Erkrankung mit aktiver Lösungsorientierung (=positive Einstellung)
  • Vorherige konstruktive Krisenbewältigung

Physiotherapie hilft

Nochmal zur Wiederholung: Bei chronischen Schmerzen ist nicht mehr primär die geschädigte Struktur der Schmerzauslöser. Schmerzen, die bei Bewegung entstehen, sind somit nicht zwingend schädigend für den Körper. Hier setzt die Physiotherapie an:

Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass körperliche Aktivität und Training dafür sorgt, dass Endorphine (Glückshormone) ausgeschüttet werden. Diese haben einen schmerzlindernden Effekt. Zudem werden nach einigen Wochen/Monaten des körperlichen Trainings zusätzliche, positive Erfolge sichtbar sein, wie z.B. mehr Kraft und Ausdauer. Diese positiven Veränderungen sorgen dafür, dass schmerzhafte oder negativ belastete Situationen mit positiven Ergebnissen verknüpft werden.

Wichtig: Durch die neurologischen Veränderungen (siehe oben) darf keine sofortige Besserung erwartet werden. Nach gezieltem und konsequentem Training stellen sich meist nach einigen Monaten erste Erfolge ein. Jetzt heisst es dranbleiben! Merke: Motion is lotion!