Der Beckenboden beschäftigt Frauen vor allem nach einer Schwangerschaft oder im fortgeschrittenen Alter. Solange der Beckenboden seine Aufgaben erfüllt, liegt er bei den wenigsten im Fokus. Spätestens wenn der Beckenboden schwächer wird oder gar ganz streikt, werden jedoch viele auf ihn aufmerksam.

Kathrin Gassner, Therapeutin im Physiozentrum St. Gallen, hat sich auf das Beckenbodentraining für Frauen spezialisiert. Kathrin Gassner zeigt Betroffenen einfache Übungen für zu Hause und ergänzt die Therapie bei Bedarf mit einem Elektrostimulationsgerät (Conpreva Duo mit 2- Kanal EMG Biofeedback). Was das für ein Gerät ist und wie Beckenbodentraining bei allerlei Beschwerden Wunder wirken kann, erklärt sie im Interview mit Physiozentrum-Bloggerin Marlène Anderegg.

Kathrin, was genau muss ich unter dem Begriff Beckenboden verstehen?

Der Beckenboden ist ein Muskel, der in drei Schichten aufgebaut ist. Dieser Muskel hat eine gemeinsame Öffnung. Der vordere Teil der Öffnung stellt den Durchgang für die Harnröhre dar, der hintere Teil den Durchgang für den Analkanal. Der Beckenboden spannt sich an, wenn sich die Blase bzw. der Darm füllen. So wird der Urin bzw. der Stuhl zurückgehalten. Beim Urinieren oder bei der Stuhlentleerung entspannt sich der Beckenboden langsam. Eine weitere Aufgabe des Beckenbodens ist es, die Lage der Bauchorgane zu sichern, damit sie in ihrer Position bleiben und sich nicht nach unten verlagern.

Welche Folgen kann eine Beckenbodenschwäche haben?

Ein schlecht trainierter Beckenboden kann zu Harnverlust, häufigen Harnwegs-Infektionen oder Senkungen der Bauchorgane führen. Eine Beckenboden-Schwäche kann zudem Rückenschmerzen verursachen, da der Muskel im Becken liegt und das Becken wiederum mit der Wirbelsäule verbunden ist.

Können deine Patientinnen ihren Beckenboden bewusst anspannen bzw. überhaupt wahrnehmen?

Meist wissen die Patientinnen anfangs nicht, wie sie den Beckenboden anspannen können. Der Beckenboden wird kaum wahrgenommen, da er unterbewusst funktioniert. Wichtig ist es, den Betroffenen gut zu erklären, was der Beckenboden ist und wie er funktioniert. Durch die Wahrnehmungsschule lernen sie dann, wie man den Beckenboden spüren, bewusst anspannen und trainieren kann.

Wie kannst du deine Patientinnen bei der Wahrnehmung des Beckenbodens unterstützen?

Als Therapeutin kann ich die Kraft des Beckenbodens ermitteln, indem ich ihn ertaste. Dabei führe ich zwei Finger in die Scheide der Patientin ein. Das nennt man vaginale Palpation. Die Patientin spannt den Beckenboden an und die Therapeutin kann mittels Widerstand die Kraft des Beckenbodens ermitteln. Wir arbeiten zusätzlich mit Elektrostimulation und Biofeedback. dies vor allem bei Frauen die ihren Beckenboden nur schlecht spüren können. So wird ein gezieltes und kontrolliertes Training möglich. Gegenüber früher, als die Therapeutinnen einfach ein paar verbale Anweisungen gaben, ist das ein enormer Fortschritt. Auch im Vergleich zu Gruppentherapien ist die Therapie mit der Sonde enorm viel wirksamer.

Was genau muss ich mir unter Elektrostimulation und Biofeedback vorstellen?

Biofeedback und Elektrostimulation sind zwei verschiedene Dinge. Nebst dem Ertasten des Beckenbodens mit den Fingern kann zusätzlich eine Sonde in die Scheide der Patientin eingeführt werden. Bei der Elektrostimulation fliesst Strom durch die Sonde, um die Beckenbodenkraft zu messen. Man kann sich dies ganz einfach vorstellen: durch den Strom kontrahiert sich der Beckenboden der Patientin, auch wenn es ihr selbst nicht möglich ist, den Beckenboden anzuspannen. Die Patientin erlebt so, wie sich dieses An- und Entspannen anfühlen sollte.

Auch beim Biofeedback wird diese Sonde in die Scheide eingeführt. Im Gegensatz zur Elektrostimulation fliesst hier aber kein Strom. Die Sonde dient einzig als visuelles Feedback für Patientin und Therapeutin. Auf einem Bildschirm wird eine Art Grafik dargestellt. Diese Grafik zeigt auf, wie stark, wie lang und unter welchen Umständen es der Patientin möglich ist, die Spannung im Beckenboden aufrechtzuerhalten.

Kann ich die Sonde auch zu Hause ausprobieren und üben?

Diese Möglichkeit gibt es. Wir arbeiten mit dem Gerät Conpreva Duo. Patientinnen können das Elektrostimulationsgerät inklusive Biofeedback bei uns mieten. So oder so ist es unerlässlich, dass die Patientin auch zu Hause Übungen macht, am besten täglich. Dafür stellen wir der Patientin ein Übungsprogramm zusammen, welches spezifisch auf ihre Beschwerden ausgerichtet ist.

Du hast die Schwangerschaft bzw. die Zeit nach der Geburt angesprochen. Wie wichtig ist in diesem Fall das Beckenbodentraining?

Der Beckenboden wird durch die Schwangerschaftshormone weicher und bei einer Geburt stark in Mitleidenschaft gezogen, manchmal sogar verletzt. Das Training nach einer Geburt kann helfen, ungewollten Urinverlust zu vermindern oder gar ganz zu stoppen. Lernt man bereits während der Schwangerschaft, wie man den Beckenboden richtig anspannt, fällt es einem nach der Geburt leichter.

Gibt es Beckenbodentherapie für den Mann?

Auf jeden Fall. Eine meiner Kolleginnen hat sich darauf spezialisiert. Die vaginale Palpation und Elektrostimulation fällt naturgemäss weg. Bei Männern wird der Beckenboden über den rektalen Zugang therapiert, mehrheitlich nach Prostata-Operationen.