Was tun bei
Über Themen wie Sexualität, Beckenboden oder Intimbeschwerden wird heute offener gesprochen als noch vor einigen Jahren. Dennoch gibt es Beschwerden, über die viele Betroffene aus Scham schweigen – insbesondere, wenn es um Schmerzen oder Krämpfe im Intimbereich geht.
Zwei häufig unbekannte, aber sehr belastende Beschwerdebilder sind Vaginismus und Dyspareunie. Beide führen zu Schmerzen beim Geschlechtsverkehr und können das körperliche und psychische Wohlbefinden stark beeinträchtigen. In diesem Beitrag erfahren Sie, was hinter diesen Störungen steckt, welche Ursachen es gibt und wie die Physiotherapie helfen kann.
Was ist Vaginismus?
Beim Vaginismus handelt es sich um eine unwillkürliche Verkrampfung der Beckenbodenmuskulatur, die eine vaginale Penetration erschwert oder verunmöglicht.
Laut der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) ist es eine „wiederkehrende oder anhaltende, unwillkürliche Kontraktion der Beckenbodenmuskulatur, die eine vaginale Penetration verhindert“.
Dadurch kann der Scheideneingang (Introitus vaginae) verschlossen sein – was nicht nur den Geschlechtsverkehr, sondern auch gynäkologische Untersuchungen oder das Einführen eines Tampons schmerzhaft oder unmöglich macht.
Was ist Dyspareunie?
Unter Dyspareunie versteht man Schmerzen im Genitalbereich, die meist im Zusammenhang mit dem Geschlechtsverkehr auftreten. Studien zeigen, dass über die Hälfte aller Frauen im Laufe ihres Lebens einmal darunter leiden.
Die Schmerzen können beim Eindringen (oberflächlich) oder bei tieferer Penetration (in der Vagina) auftreten – einmalig, wiederkehrend oder dauerhaft.
Man unterscheidet zwischen:
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Primärer Dyspareunie: Beschwerden bestehen seit dem ersten Geschlechtsverkehr.
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Sekundärer Dyspareunie: Schmerzen treten erst im Verlauf des Lebens auf.
Neben körperlichen Beschwerden kann Dyspareunie auch zu Problemen in der Partnerschaft führen. Die Angst vor Schmerzen kann das sexuelle Verlangen verringern und das Selbstbild sowie das emotionale Wohlbefinden beeinträchtigen.
Unterschied zwischen Vaginismus und Dyspareunie
Seit 2013 werden Vaginismus und Dyspareunie im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) unter dem Begriff Genito-pelvine Schmerz- und/oder Penetrationsstörung (GPPS) zusammengefasst.
Beide führen zu Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, unterscheiden sich jedoch leicht in der Ursache:
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Vaginismus: Muskelverkrampfung im Beckenboden verhindert die Penetration.
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Dyspareunie: Schmerzen im Genitalbereich während oder nach dem Geschlechtsverkehr, ohne dass eine Muskelverkrampfung die Ursache ist.
Ursachen – ein Zusammenspiel vieler Faktoren
Die Entstehung von Vaginismus oder Dyspareunie ist meist multifaktoriell. Körperliche, hormonelle, neurologische und psychische Faktoren greifen ineinander.
Körperliche Ursachen können sein:
- Hormonelle Veränderungen (z.B. in der Menopause)
- Entzündungen oder wiederkehrende Harnwegsinfekte
- Vernarbungen nach Geburten oder Operationen
- Senkungen oder muskuläre Fehlspannungen im Beckenboden
- Neurologische Erkrankungen oder Überempfindlichkeit der Nerven
Psychische und psychosoziale Faktoren:
- Angst vor Schmerzen oder vor dem Geschlechtsverkehr
- Negative sexuelle Erfahrungen oder Traumata
- Stress, Scham oder Partnerschaftskonflikte
- Erhöhte Aufmerksamkeit auf Schmerzen (Schmerzgedächtnis)
Gerade die Kombination aus körperlicher Verspannung und psychischer Belastung kann die Beschwerden langfristig aufrechterhalten.
Wie häufig sind Vaginismus und Dyspareunie?
Schätzungen zufolge sind 3 bis 18% der Weltbevölkerung von Vaginismus oder Dyspareunie betroffen. Über die Lebenszeit erleben rund 10 bis 28% Phasen mit Schmerzen im Beckenboden – meist Frauen.
Auch in der Schweiz dürfte die Häufigkeit ähnlich hoch sein, genaue Zahlen fehlen bislang.
Behandlung – was hilft wirklich?
Da es sich um komplexe Störungsbilder handelt, ist eine interdisziplinäre Behandlung besonders wichtig. Idealerweise arbeiten Gynäkologinnen, Physiotherapeutinnen und Psychologinnen eng zusammen.
Ein bewährter Ansatz ist die multimodale Therapie, die körperliche, psychische und verhaltensorientierte Massnahmen kombiniert.
Wichtige Therapiebausteine sind:
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Physiotherapie: Beckenbodentraining, manuelle Techniken, Biofeedback, Elektrotherapie oder der Einsatz von Hilfsmitteln wie Dilatatoren oder Vibratoren.
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Psychologische Unterstützung: Kognitive Verhaltenstherapie, Achtsamkeitsübungen oder Sexualtherapie zur Reduktion von Angst, Scham und Stress.
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Medikamentöse Therapie: Lokale Östrogenbehandlung, Schmerzmittel oder muskelentspannende Präparate.
Die wirksamste Behandlung ergibt sich aus einer individuellen Kombination dieser Methoden – abgestimmt auf die persönlichen Bedürfnisse und Lebensumstände.
Wie hilft Physiotherapie bei Vaginismus und Dyspareunie?
In der Physiotherapie steht am Anfang ein ausführliches Gespräch (Anamnese), um die Beschwerden und deren Auswirkungen auf Alltag, Beziehung und Lebensqualität zu verstehen.
Darauf folgt – mit Einverständnis der Patientin – eine körperliche Untersuchung, um die Beckenbodenmuskulatur zu beurteilen: Wie stark ist sie? Wie gut lässt sie sich an- und entspannen? Gibt es schmerzhafte Triggerpunkte oder erhöhte Spannung?
Anschliessend wird ein individueller Behandlungsplan erstellt, der unter anderem folgende Elemente beinhalten kann:
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Manuelle Techniken zur Entspannung der Beckenbodenmuskulatur
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Triggerpunktbehandlung und Dehnung umliegender Strukturen
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Biofeedback und Elektrotherapie, um die Wahrnehmung zu verbessern
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Gezieltes Training, um Kraft und Kontrolle der Muskulatur wiederherzustellen
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Aufklärung und Beratung, um den Zusammenhang zwischen Körper und Psyche besser zu verstehen
Ziel ist es, die Kontrolle über den eigenen Körper zurückzugewinnen, Schmerzen zu reduzieren und Vertrauen in die eigene Sexualität wieder aufzubauen.
Fazit
Schmerzen oder Krämpfe im Intimbereich sind kein Tabuthema – und sie sind behandelbar. Vaginismus und Dyspareunie sind komplexe, aber gut therapierbare Beschwerden, wenn körperliche und psychische Faktoren gemeinsam berücksichtigt werden.
Die Physiotherapie spielt dabei eine zentrale Rolle, indem sie hilft, den Beckenboden gezielt zu entspannen, die Wahrnehmung zu verbessern und die Lebensqualität zu steigern.
Sprechen Sie mit Ihrer Gynäkologin oder Ihrem Arzt über Ihre Beschwerden – und lassen Sie sich gezielt behandeln. Denn: Niemand sollte mit Schmerzen leben müssen.