Kopf- und Nackenschmerzen, Gleichgewichtsstörungen und Schwindel, Müdigkeit und Antriebslosigkeit – diese Symptome machen über einer Million Schweizerinnen und Schweizern das Leben schwer.

«Wer noch nie Migräne hatte, kann sich kaum vorstellen, wie schmerzhaft und belastend solche Anfälle sein können», erklärt Sandro Perrenoud. Wir haben den Physiotherapeuten und Spezialisten für Schwindeltherapie zum Interview getroffen, um mehr über Migräne und deren Behandlung zu erfahren.

Sandro, was sind die Ursachen einer Migräne?

Die Ursachen und Abläufe sind noch nicht vollständig erforscht. Genetische Veranlagung scheint aber eine entscheidende Rolle zu spielen. Es kommt nicht selten vor, dass innerhalb einer Familie mehrere Personen betroffen sind. Man weiss, dass eine Stoffwechselstörung bestimmter Hirnzellen auftritt. Dies führt wiederum dazu, dass man sehr sensibel auf innere und äussere Reize reagiert.

Welche Reize bzw. Faktoren begünstigen Migräne-Attacken?

Da gibt es einige. Zu den sogenannten Triggerfaktoren zählen typischerweise…

  • Stress
  • Schlafmangel
  • grelles Licht
  • hormonelle Schwankungen (z.B. während der Menstruation)
  • mangelnde Flüssigkeitszufuhr
  • Wetterwechsel

Und wie sieht’s mit der Ernährung aus?

Auch ein «ungesunder» Lebensstil kann die Wahrscheinlichkeit eines Migräne-Anfalls erhöhen. Hier gehört die Ernährung dazu. Migräneanfällige Personen sollten nicht zu viel Schokolade, Rotwein oder künstliche Süssungsmittel wie Aspartam konsumieren. Und gewisse Medikamente, aber auch zu wenig oder zu viel Bewegung gelten ebenfalls als potentielle Migräne-Trigger.

Wo setzt die Physiotherapie an, um zu helfen?

Wir verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz. Gemeinsam mit den Patienten identifizieren wir die Triggerfaktoren und versuchen diese zu reduzieren – quasi eine Lebensstilberatung. Zusätzlich zeigen wir den Patienten Übungen zur Lockerung von Verspannungen, die sie jederzeit zuhause machen können. Eine weitere Methode ist die manuelle Therapie am Nacken, um die Schmerzen zu lindern. Dazu kommt noch ein Krafttraining zur Steigerung der lokalen Belastbarkeit. Die Erfahrung zeigt auch, dass leichter bis mittlerer Sport drei bis vier Mal pro Woche sehr wirksam ist.

Wie geht ihr vor, wenn Migräne-Patienten mit Schwindel zu kämpfen haben?

Hier gehen wir noch einen Schritt weiter. Zusätzlich zu den oben genannten Massnahmen ist die vestibuläre Rehabilitation entscheidend.

Und das heisst konkret…

Zur Erklärung: Das Vestibularorgan, auch Gleichgewichtsorgan genannt, befindet sich im Innenohr. Es sorgt dafür, dass wir das Gleichgewicht halten und z.B. gerade gehen können, ohne gleich umzufallen. Ist aber unser Gleichgewichtsorgan gestört, folgt nicht selten ein Schwindelanfall. Wir versuchen also, mit gezielten Übungen das Gleichgewichtsorgan zu rehabilitieren. In Fällen, in denen der Schwindel nach einem Migräneanfall anhält oder eine Unsicherheit im Alltag vorliegt, führen wir ergänzend ein Funktionstraining durch (Gangschule, Bewegungsübergänge etc.).

Was ist das langfristige Ziel einer solchen Behandlung?

Längerfristig möchten wir die Anzahl Anfälle vermindern, die Körperwahrnehmung verbessern – die Patienten sollen lernen, sich selbst zu managen bzw. Triggerfaktoren sowie ihre allgemeine Belastbarkeit zu erkennen und zu akzeptieren.

Tipps für zuhause, wenn Betroffene nachts oder tagsüber vom Schmerz geplagt

werden?

Bei akuten Anfällen empfehle ich körperliche Ruhe – äussere Reize wie Licht, Geräusche etc. sollten möglichst gemieden werden. Was auch kurzfristig helfen kann, ist die Halsschlagader zu kühlen und einen Kaffee zu trinken. Bei subakuten (weniger heftig verlaufenden) Anfällen kann man mit täglicher Bewegung und Entspannungsübungen (Stressmanagement), gesundem Schlaf sowie gesunder Ernährung viel erreichen.

Mehr Informationen zur physiotherapeutischen Behandlung bei Migräne finden Sie in unserem Diagnoselexikon. Zum Beitrag: «Was tun bei Migräne?».